Studien zur Typografie
Praxis und Theorie kommen sich in der heutigen Aus- und Fortbildung immer näher. Deren Notwendigkeit ist vielleicht nicht so neu. Doch erweist sich gerade dies für »betonte« Praktiker sehr schnell bei der intensiven Beschäftigung mit einem Detailbereich aus der Gestaltung oder dem nachhaltigen »Studieren« eines Themas.
Im Seminar »Typografie intensiv« erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor dem Abschluss die Aufgabe, eine Studie zu einem typografie- und gestaltungsrelevanten Thema zu erarbeiten. Das Thema wird selbst gewählt und reicht – sehr bunt – in viele verschiedene Bereiche.
So findet man Betrachtungen zu geschichtlichen Themen der Typografie neben Untersuchungen heutiger Tendenzen in Teilbereichen, sehr persönliche Entwicklungsdarstellungen von Buchreihen, aber auch richtige Forschungsansätze. Die Studien müssen nicht zwangsläufig daraus Folgerungen empfehlen, können auch den Ist-Zustand beschreiben. Und nicht wenige Studien wurden in der späteren praktischen Arbeit der Teilnehmer weiter verfolgt.
Einige Beispiele, die direkt mit Typografie zu tun haben, möchte ich hier vorstellen. Manchmal ist es ja hilfreich, wenn man weiss, dass es solche Ansätze bereits gibt.
Dennis Schmid hat 2015 die Darstellung von 16 Druckschriften im Digitaldruck auf verschiedenen Papiersorten untersucht. Die Druckeignung wurde mit dem Offsetdruck verglichen. Die Studie zeichnet sich durch akribische Mikroskopaufnahmen aus, die zunächst im Bereich des Digitaldrucks verstörend aussehen. Doch in der Originalgröße der Schrift kommen die meisten Schrifttypen gut weg. Die Druckerei Clausen & Bosse (CPI books, Leck) war hierbei großzügiger Partner, indem sie Andrucke lieferte und die Studie selbst im Digitaldruck auf einer Quantum und Quantum Colour druckte und in einer Voraussage zur Verfügung stellte. Eine Ausgabe mit allen 16 Schriften auf verschiedenen Papiersorten ist bei CPI in Vorbereitung. Kontakt: dennis_ps@web.de
Abb. Testbögen für die Wirkung von Schriften im Digitaldruck
Abb. Schriftwiedergabe der Didot
Jeden Tag kommen neue serifenlosen Schriften heraus. Ich erinnerte mich an einen Vortrag von Hans-Peter Willberg bei der Herstellertagung in Irrsee 1986, wo er neue Textschriften vorstellte, die im Fotosatz oder bereits digital ohne direkte historische Vorbilder entstanden waren. Das gab für Manuel Kreuzer 2011 den Anlass, 21 neue serifenlosen Schriften der letzten 20 Jahre zu untersuchen. Die Auswahl war schwierig, denn bei der ersten Sammlung neuerer serifenlosen Schriften kamen bereits über 140 ernstzunehmende Schriften zusammen. Die Studie untersucht jeweils sehr genau die einzelnen Buchstaben der Schriften. Und damit lassen sich die Schriften im Detail gut vergleichen. Diese Arbeit ist danach im August Dreesbach Verlag erschienen.
Büro für visuelle Gestaltung Manuel Kreuzer | August Dreesbach Verlag
Abb. Beispielseiten aus »20+1 – Vergleich von ausgewählten serifenlosen Schriften der letzten zwanzig Jahre« von Manuel Kreuzer
Untersuchungen und Anwendungen zur Mikrotypografie spielen im Seminar »Typografie intensiv« eine wichtige Rolle. Eine umfassende und sehr genaue Studie zur Manipulierbarkeit von Textschriften im mikrotypografischen Umfeld erarbeitete Catherine Avak 2009. Hierbei wurde anhand der Textschriften Fleischmann, Bodoni, Sabon, Syntax und Cecilia systematisch Laufweite, Kerning, Silbentrennung und der Wort- und Zeichenabstand verändert und in Beispielen gezeigt. Die für die jeweilige Schrift ideale Kombination wurde als Schlussfolgerung vorgestellt. avak@tgm-online.de
Abb. Ergebnis-Zusammenstellung bei der Schrift Fleischmann
Annett Riechert untersuchte 2015 das kleine g und wie es harmonisch in das jeweilige ganze Alphabet stilistisch eingebettet ist. Fragestellung war, ob das kleine g für unterschiedliche Anwendungsbereiche wie Mode, Nahrungsmittel, Zeitschrift typisch sein könnte.
Zunächst wurde die Geschichte des kleinen gs untersucht und seine Besonderheiten hervorgestellt. Mit Testpersonen wurden die Anwendungsbereiche untersucht. Das mag alles etwas fantastisch klingen, ist aber eine in sich plausible Studie. Natürlich ist hier trotz 35 Testpersonen das Ergebnis noch etwas offen. Aber Annett Riechers Arbeit sicher weiter daran. annett-riechert-design.de
Abb. Beispielseiten aus der Studie zum kleinen g
Jutta Fischer nahm sich 2013 neue Serifenschriften vor, wählte zehn aus: Milo, Arno Pro, Parango, Miller Text, Sierra, Ashbury, Expo Serie, Karina, Tundra und Agmena. Dabei wurden diese Schriften in einer eher spielerischen Form gezeigt. Jede Schrift bekam ein einzelnes kleines Booklet, in dem Merkmale und Details angeführt wurden. Der jeweilige Schriftdesigner wird knapp vorgestellt, die Schriftfamilie wird gezeigt und schließlich gibt es einen vergleichbaren Textabschnitt, der aus der 10/12 Punkt Regulär gesetzt ist. Das Ganze kann Ideen zur Verwendung einer neuen Schrift geben (ich selbst habe mich bereits anregen lassen mit der Verwendung der Agmena). info@going2web.de
Abb. Studie über neue Serifenschriften
Soeben ist eine Studie von Nicole Heinen fertig geworden mit dem Thema »Schriftwahl im Coachingkontext«. Anhand einzelner Worte wurde ein Ergebnis präsentiert zwischen
- Coach / Gestalter mit seinen Erfahrungen und Weltbild
- Klient / Betrachter mit seinen Erfahrungen und Weltbild
- Schriftklassen mit ihren Charaktereigenschaften
- Worte mit ihrer Information und Bedeutung
- Farben mit ihrer Schwingungsfrequenz und Wirkung.
Das jeweilige Wort wurde in der dafür passendsten Schrift ausgewählt.
Es könnten »schöpferische Schritte zu einem neuen Verständnis« entstehen die das Tor zu neuen Handlungsweisen öffnen«, schreibt die Autorin abschließend.
Abb. Seiten aus der Studie zur Schriftwahl im Coachingkontext
In einer weiteren Folge werde ich Studien zu gestalterischen Themen vorstellen.