Typografie in der Wissensvermittlung

Was macht sie besonders?

Typografie ist ein sehr komplexes mitunter hochaufwendiges Geschäft. Die Anforderungen erwachsen aus der großen Bandbreite der Texte und den Anforderungen, die diese stellen. Um das zu erläutern, versuche ich eine Übersicht der Texte nach typografischer Komplexität. Dazu beschreibe ich einige grundsätzliche Aspekte der Typografie, um dann am Ende erläutern zu können, warum angemessene Typografie so sehr auf hochausgebildete Experten angewiesen ist.

Was ist Typografie?

Schrift macht aus Gedanken Text, Mit den Buchstaben kommen unmittelbar Wortabstände, Satzzeichen, verschiedenste Zäsuren ins Spiel. Sie sind mannigfaltige Bedeutungsträger und verantwortlich für den Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Aus einer Abfolge von Buchstaben wird ein Roman, ein Straßenschild oder eine wissenschaftliche Veröffentlichung.

Text ist Typografie und Typografie ist Text. Ein Text ist geschrieben, getippt, gesetzt, auch gedruckt oder anderweitig präsentiert . Sein Ziel ist immer die Veröffentlichung und – er ist immer eine Form von Kommunikation.

Wenn Gedanken Text werden sprechen wir auch über Autor und Leser, Intentionen und Kommunikation, Medium. Das heisst, wir sprechen über Texte, die in vielfältiger medialer Gestalt ihren Weg vom Autor zum Leser machen. Für die es einen diffizilen visuellen, besser typografischen Kodex gibt, der kulturell verabredet ist. Diese Verabredungen gehen weit über Schrift hinaus, sie betreffen Form und Ausstattung des Mediums ebenso wie die Detail-Typografie der Texte. Sowohl Leser als auch Autor kennen die Metaebene und verlassen sich auf diese Verabredungen.

Die typografischen Aktivitäten

Die Art der Typografie ist bestimmt durch die Art der Texte. Aus typografischer Sicht lassen sich Texte in Gruppen unterteilen. Hier die Hauptgruppen sortiert nach steigender Komplexität:

  1. sehr kurzer Text ohne Struktur; Bsp.: Schild
  2. kurzer oder langer Text mit paralleler Struktur ; Bsp.: Lexikon, Wörterbuch
  3. längerer bis langer Text mit einfacher Struktur: Kapitel, keine weitere Gliederung; Bsp.: Roman, Artikel, Instruktion
  4. langer Text mit intensiver hierarchischer und paralleler Struktur: stark gegliederte Kapitel, semantische Elemente; Bsp.: Lehrbuch, Sachbuch, Wissenschaftlicher Text

Zu 1: Der kürzeste Text findet sich auf Schildern. Die kleinste typografische Einheit auf einem Schild ist ein Buchstabe. Die Anforderungen an die typografische Arbeit leitet sich nicht aus dem Text an sich ab. Der Raum ist bedeutsam: Entfernung, Bewegung, Sprachlichkeit sind die Faktoren, die das Lesen bestimmen.

Zu 2: Der kurze oder lange Text mit paralleler Struktur enthält eine Textgliederung ohne hierarchische Struktur. Lexikon und Wörterbuch enthalten ihre Texte in Form von Spitzmarken. Diese sind seriell angelegt. Der Umfang einer solchen Sammlung kann gering sein oder Buchregale füllen. Der Text selbst beginnt Anforderungen an die Typografie zu stellen.

Zu 3: Eine schlichte hierarchische Gliederung ist in Romanen oder auch Artikeln enthalten. Der Text ist in Kapitel unterteilt ohne weitere Gliederung. Er kann dazu einzelne parallele Strukturelemente enthalten in Form von typografischen Figuren – verschiedene Textelemente, die als Gruppe visualisiert sind (Fußnote, Spitzmarke).

Zu 4: Ein längerer oder langer Text mit komplexer – hierarchischer und paralleler – Struktur enthält gegliederte (z. B. nummerierte) Kapitel, parallele Elemente, die didaktischen, rhetorischen oder semantischen Absichten folgen und Medien . Der Verzeichnisbereich ist ausgebaut zu Erschließungshilfen. Beispiele sind Lehr-, Schulbuch, Sachbuch, Wissenschaftliche Veröffentlichung, Instruktionstext.

Lesen in Texten 1–4

Das Lesen eines Schildes (1) mit Buchstaben oder wenigen Worten ist auf Tempo angelegt. Es steht wenig Zeit zur Verfügung, die Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Hier muss der Text auf einen Blick lesbar sein und unmittelbar in Handlung überführen zu sein. Die Umgebung, der Raum spielt die wesentliche große Rolle. Schilder navigieren und dienen der Orientierung.

Ein Lexikon (2) wird konsultiert . Auslöser ist eine präzise Fragestellung des Leser, die schnelle Anwort benötigt. Er liest den ausgewählten Text und verläßt ihn dann. Die Dauer der Benutzung kann sehr kurz sein. Leser von Lexika, Wörterbüchern, Glossaren sind auf Gleichheit der Elemente und auf gute Orientierung angewiesen.

Der Roman (3) wird linear gelesen – die simple Struktur erlaubt ein versenken und verschwinden in der Geschichte. Strukturinformationen müssen nicht verarbeitet werden, man kann sich der Geschichte widmen. Sach- und wissenschaftliche Texte,

Lern- und Instruktionstexte (4) stellen große Herausforderungen an den Leser. Hier sind Lesetätigkeiten aus allen Gruppen gefragt. Tabellen und Abbildungen wechseln den Fokus oder die Informationsebene, Fußnoten werden konsultiert, in Übungen wird gearbeitet, Definitionen werden auswendig gelernt.

Instruktionstexte wollen eine konkrete Aktivität auslösen, das Gelesene soll in eine Handlung münden. Das Leseprozess lässt sich in die folgenden Schritte unterteilen: Zuerst findet das Leseverstehen statt. Anschließend wird aus dem bisher gelesenen ein Modell erstellt – der Leser stellt sich die Handlung vor. Im nächsten Schritt werden Regeln konstruiert, Ziele formuliert und Handlungsfolgen festgelegt. Anschließend wird der Plan mit bekannten Regeln verglichen. Abschließend findet ein Monitoring statt, in dem der Leser überprüft, ob die neue Regel gelernt ist.

Elemente des Textes und der Typografie

Texte, die in der Wissensvermittlung eingesetzt sind, enthalten oft eine Vielzahl an Elementen. Das zeigt eine Untersuchung der Lerneinheit – ein Text, der im Verbundstudium zur Inhaltsvermittlung eingesetzt wird.

Auf der Kapitelebene finden sich: Vorwort, Einführung, Lernziele, Index, Glossar, Wiederholungsfragen, Übungen, Lösungen, Anhang, Inhalts-, Abkürzungs-, Literatur-, Tabellen-, Abbildungsverzeichnis.

Auf der Textebene: Merksatz, Beispiel, Fall (jur.), Tipp, Hinweis, Lernhinweis, Rechtshinweis (jur.), Lesehinweis, Checkliste, Wiederholungsfrage, Übung, Akzent (rhet.) Leitsatz (rhet.), Liste, Spitzmarke, Reihung, Definition, Zitat, Quellcode (inf.), Satz (math.), Beweis (math.), Abbildung, Tabelle, Gleichung (math.), Fußnoten.

Textelemente sind aus Sicht des Autors semantisch, rhetorisch, didaktisch oder strukturell. Visualisiert werden sie mit den Elementen der Typografie. Sie lassen sich – etwas gruppiert – so umreissen:

Raum: Positionen auf Fläche, Layout, Abstand, Einzug

Form: Buchstabe, Schriftart, Schriftschnitt, Schriftgröße

Farbe: Struktur, Semantik

Jede typografische Maßnahme besteht aus mehreren dieser typografischen Elemente. Alle Textelemente eines Lehr- oder Instruktionstextes werden mit einer Auswahl dieser typografischen Elemente dargestellt. Enthält ein Text viele Inhaltselemente, potenziert sich die Menge der typografischen Maßnahmen. Die einzelnen typografischen Maßnahme geraten in Bezie-hung zu einander. Es müssen Gleichheiten geschaffen werden und Abgrenzungen, Ähnlichkeiten spielen eine Rolle, Visualisierungen semantischer und rhetorischer Beziehungen über alle Gliederungsebenen hinweg. Nichts darf beim Lesen, Lernen, Nachschlagen verwechselt werden, nichts darf die Aufmerksamkeit stören, alles muss aufs einfachste erfasst werden können.

Fazit

Am Ende ist es ein inhaltlich hochkomplexes Gefüge, dass einen ausgebildeten wenigen Leser erfordert. Für Bewältigung der Typografie dieser Texte benötigen wir Typografen mit ausgewiesener Fachexpertise.

Bibliographie

Borinski, Ulrike. (2016a, Februar 14). Die typografische Figur. Zugriff am 14.2.2016. Verfügbar unter: http://www.frauborinski.de/Typo-Figuren.html

Borinski, Ulrike. (2016b, Februar 14). Lerneinheiten – ein Modell. Zugriff am 14.2.2016. Verfügbar unter: http://www.frauborinski.de/Modell_LE.html

Richter, T. & Christmann, U. (2009). Lesekompetenz: Prozessebenen und interindividuelle Unterschiede (Lesesozialisation und Medien). Lesekompetenz (3. Auflage). Weinheim: Juventa. Text. (2016, Februar 14).

Text – Wikipedia. Zugriff am 14.2.2016. Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Text

Willberg, H. & Forssmann, F. (2010). Lesetypografie (5. Auflage). Mainz: Schmidt.

Ulrike Borinski, 22.02.2016, * home, Impressum