Das ewige Buch: Die Bibel

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Typografie der Bibel im 20. und beginnenden 21. Jahrhunderten
Bibel und Typografie sind zwei Begriffe, die seit Jahrhunderte miteinander verschränkt sind. Für die Typografie bedeutete das mit dem Beginn des Druckens die »B 42«, die 42-zeilige Bibel, die Johannes Gutenberg in seiner Werkstatt gedruckt und herausgebracht hatte. Seitdem ist die Typografie der Bibel immer wieder Thema von Verlegern und Typografen.

 

1956 gab es ein großes Ereignis: Bror Zachrisson und Hermann Zapf griffen die Idee Maximilian Vox auf und schrieben an 43 Typografen (es war die Elite der Buchgestalter) die Aufgabe aus, die Bibel neu zu gestalten. Die gedruckten Entwürfe wanderten in Ausstellungen durch die Welt und es wurde eine Mappe mit den Beispielen produziert.
Wenig später, nämlich 1964 schrieb die Württembergische Bibelanstalt einen präzis formulierten Wettbewerb zum gleichen Thema aus. Die Arbeiten wurden weniger bibliophil als die von Stockholm, da auch Anmerkungen und Kommentare gefordert waren. Die Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt.


 

2005 präsentierte mein heutiger Gesprächspartner Michael Schlierbach, Studentenpfarrer und Typograf, als Abschluss zum Jahreskurs Typografie ein Werkstattgespräch über die Typografie der Bibel der letzten 20 Jahre. Dabei stellte sich generell ein Mangel in der typografischen Qualität heraus. Selbst bei den Qualitätsanführern von 1964, der Bibelanstalt. Da ich über die Jahre zahlreiche Jugendliche zur Konfirmation mit einer Bibel beschenken wollte, bemerkte ich diese Misere regelmäßig.
Schlierbach hatte mich auch auf die Zürcher Bibel aufmerksam gemacht. Die ist – in diesem Bereich ganz ungewöhnlich – im Flattersatz gesetzt. Die Schrift (Schrift und Gestaltung Christoph Noordzij) erscheint mir aber im Verhältnis zum Zeilenabstand zu groß. Wobei sicher vom Gebrauch her und der zu erwartenden Leser einiges für die Schriftgröße spricht.

 

 

Natürlich gibt es immer auch die Versuche, alles anders zu machen um das Interesse an der Bibel anzufachen. Bibel als Bildband, als Comic oder als Magazin, jedenfalls in der Art der Gestaltung. Auf der Qued 2016, einer Tagung zur Magazingestaltung in München, führte Andreas Wurm sein mit Andreas Volleritsch gestaltetes Neue Testament vor. Hier sind alle sachlich-typografischen Register einer interessanten Magazingestaltung gezogen.

 



Im folgenden Text finden Sie meine Eindrücke zur Bielefelder Bibel, aber auch zur Bibel als Magazin. Im anschließenden Beitrag kommentiert Michael Schlierbach die Bielefelder Bibel aus seiner Sicht als Theologe und Typograf, eine Kombination, die  eher selten vorkommen dürfte.

Bielefelder Bibel
Über die Bielefelder Bibel hatte ich im tgm-Blog über eine Vorstellung des Projektes auf der typo Berlin 2014 berichtet. Meine damalige Faszination hat sich jetzt mit der vorliegenden fertigen Ausgabe noch verstärkt. Die literarische Vielfalt der Bibel (welche sehr komplex ist, wie man bei Martin Urbans Geschichte der Bibel nachlesen kann) wird in der typografischen Kennzeichnung der Textsorten betont. Die Schriftwahl mit der Nexus von Martin Majoor empfinde ich als ausgesprochen glücklich.
Nach wiederholter Durchsicht des Buchkomplexes fällt mir auf: Die einzelnen Textteile der Bibel werden sehr unterschiedlich behandelt und man bemerkt den Studiocharakter des Bibel-Projektes. Einige Texte sind höchst sensibel und auch originell typografisch umgesetzt. Andere unterscheiden sich so, dass nur Typografen oder dementsprechend geschulte Personen Unterschiede bemerken können. Doch ist damit und vielleicht auch gerade dadurch der Anreiz zum Lesen hoch. Und vielleicht gilt das besonders für Leser, die nicht gewohnt sind, in einer konventionell gesetzten Bibel zu lesen.
Die Genesis beginnt mittelachsig. Das kommt sehr feierlich herüber. Es ändert sich mit der »Erschaffung der Welt«, die zunächst einen breiten Satzspiegel erhält, mit hohem Fußsteg. Dazwischen werden »Israel und die Völker« (S. 31) mit großem Durchschuß gesetzt werden und der Satzspiegel wird nach unten erweitert.

 

 

Die rechtsseitigen Zwischentitel sind jeweils den folgenden Kapiteln angepasst. »Jakob und seine Söhne« wirken durch seinen Satzspiegel elegant und ruhig, eben wie gut gesetzte Belletristik. Natürlich werden Besonderheiten im Text wie die Aufzählung von Namen auch typografisch fein hervorgehoben (S.93).

 

 

Ähnlich, aber in der Spannung nach unten, erscheint der »Exodus«. Die Lieder sind dabei als Gedichtsatz in Kursiv gesetzt (S. 131). Unterüberschriften und Marginalien stehen gut in der Wirkung zum Grundtext.

 

 

Im »Buch der Richter« (S. 185) wird der Satzspiegel wieder in guter Konvention sehr angenehm. Der Kolumnentitel wird hier zum Fußtitel. Die Initialen sind aber zu groß und damit laut. Das wird noch heftiger in »Michas Heiligtum und die Daniter«. Acht Zeilen hohe Initialen erinnern dann mehr an Altarbibeln. Hierbei ist der Satzspiegel seitlich verschoben, der breitere Steg ist immer links.

 


 

Im »Buch Ester« (S.245) werden Initialen zum (weiblichen?) Spiel. »Ijob« ist kleiner gesetzt und zweispaltig. Der Satzspiegel orientiert sich an einer unteren oder oberen nahe dem Papierrand liegenden Satzkante. Dagegen wurde die »Antwort des Herrn im Gewittersturm« extrem groß gesetzt.
Sehr angenehm wirkt der Satz der »Psalmen«, so wie sich Lyrikliebhaber eigentlich Gedichte wünschen. Seitliche Verschiebungen sind dabei formales Spiel, trotzdem deutlich für die Leserführung. Bei den »Spruchsammlungen« ist die Betonung der Sprüche nach der unteren Seitenkante nicht nachvollziehbar. Oben ensteht ein etwas ungeordneter Raum, der die Orientierung auf den Seiten eher behindert.

 


 

»Das Buch Jona« wird als Typografie eines Kinderbuches für Leseanfänger verkleidet. Hier konnte ich keinen Sinn erkennen, abgesehen davon, dass es einfach ganz anders gestaltet ist. Genügt das?

 

 

Interessant ist der Umgang mit Einzügen, wie sie vor allem ab »Sacharja« gesetzt werden. Im »Matthäus« tauchen dann Überschriften aus der Nexus Sans auf, was dem Kapitel einen »aktuelleren« Drive gibt.


 

Die »Briefe an die Philipper« sind tatsächlich Briefe, nämlich mit einer Schreibmaschinenschrift gesetzt, was übrigens den Lesegewohnheiten jüngerer Leser nicht mehr entspricht, da sie solche Briefe nur noch aus Archiven kennen dürften. In  der »Offenbarung« werden seitliche Überschriften und Satzspiegelverschränkungen benutzt. Das wirkt immer noch modern, obwohl das spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts schon reichlich benutzt wurde.

 

 

Natürlich sind mir noch sehr viele andere Details aufgefallen, die hier zu weit führen würden. Immer wieder bin ich (vergnügt) in das Lesen der Texte geraten. Obwohl und weil die Texte der Bibel so verschieden und deshalb nicht einfach linear sind, ist dieses typographische Kompendium nicht nur interessant, sondern gibt vielleicht auch Hinweise für künftige typografische Gestaltungen. Ich finde das gesamte Projekt faszinierend und danke besonders Dirk Fütterer in Bielefeld und seinem umfangreichen Team.


Bibel als Magazin
Interessant ist der gelungene Versuch, die Bibel als Magazin zu gestalten, obwohl die in Magazinen übliche Bildfülle ausbleibt. Zwar werden die Hauptkapitel mit doppelseitigen Bildern von Szenen in Oberammergau bestückt. Aber alles andere besteht pur aus Typografie. Headlines, Zwischenüberschriften und Leseanreize  bleiben erstaunlich konstant. Die schmalen Blocksatzkolumnen erinnern sehr an Magazine und erstaunlicherweise lassen sie sich trotzdem gut lesen. Die Kapitelziffern sehen zunächst aus wie Fußnoten, aber man gewöhnt sich rasch daran, dass man keine Noten suchen muss.

 

 

Allerdings erinnern die schmalmageren Headlines in Unterkapiteln ein wenig wie Karikaturen auf die Magazingestaltung der neunziger Jahre. Im Gesamtgefüge der Gestaltung fallen diese Seiten deshalb eher unangenehm auf. Aber es gibt auch funktional intelligente Details, wie beispielsweise mittels Spaltenlinien lediglich zusammengehörige Teile verstärkt werden.
rpg



 

Melanie Peetz, Dirk Fütterer (Hrsg.)
Bielefelder Bibel
Die Heilige Schrift in lesefreundlicher Form
Auswahlausgabe
688 Seiten
178 x 240 mm
Leinen
Verlag Herder, Freiburg 2016
ISBN 978-3-451-34000-0

Oliver Wurm (Idee), Andreas Volleritsch (Design)
Das Neue Testament
als Magazin
242 Seiten
230 x 300 mm
Broschur
Katholisches Bilbelwerk, Stuttgart 2010
9,20 Euro


Literatur zu diesem Beitrag:


Alber Kapr: Johannes Gutenberg. Persönlichkeit und Leistung.
Berlin 1986

Alys Ruppel, Wieland Schmidt: Gutenberg Bibel.
Dortmund 1977

Hans Volz: Bibel und Bibeldruck in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert.
Mainz 1960

liber librorum. Der Bibeldruck als Aufgabe.
München 1957

Georg Kurt Schauer: Stuttgarter Bibeltypografie.
Stuttgart 1964 (Der Druckspiegel)

Bror Zachrisson: Liber librorum: Buchkünstler aus fünfzehn Länder nehmen typographische Lösungen der Bibel vor.
Zürich 1956 (Mitteilungsblatt der Schweizerischen Bibliophilengesellschaft)

Julius Rodenberg: Typografie der Bibel. In: Größe und Grenzen der Typographie.
Stuttgart 1959

Martin Urban: Die Bibel. Geschichte eines Buches.
Köln 2009

Rudolf Paulus Gorbach: Bibeltypografie heute. Werkstattgespräch mit Michael Schlierbach.
In: Vier Seiten 29, 2006

Rudolf Paulus Gorbach: Eine völlig neue Bibeltypografie.
http://www.tgm-online.de/die-typo-berlin-2014-roots