Wie schön! oder Zu viel des Guten?

Gedanken zur Bielefelder Bibel

Wie schön!, war mein erster Gedanke beim Auspacken der Bielefelder Bibel. Kein Leichtgewicht, aber angemessen für ein Werk von Gewicht, und so austariert, dass die haltende Hand beim Lesen weiß, dass sie ein bedeutendes Buch hält. Ein angenehmer Leineneinband, fühlt sich echt an, angenehmes Papier und ein Seitenformat mit Platz.

Wirklich ästhetisch ansprechend. Dieses Buch unterstützt den Gestus des Lesens (ein besonderer Dank gebührt hier Klaas Huizings Ästhetischer Theologie fürs Augenöffnen).

»Die heilige Schrift in lesefreundlicher Form« – in Broschüren und im Nachwert eine markante Spur zu großspurig formuliert – für das Exterieur dieser Bibelausgabe mag ich das ganz und gar gelten lassen. Aber ich vermisse dabei die Demut vor der Geschichte der Buchherstellung und Typografie: Viele haben bereits großartiges geleistet, mit dem Rohr, der Feder, dem Blei. Mag im modernen Bibeldruck auch das meiste verschütt gegangen sein, es geht schlicht nicht um Neuerfindung sondern um Anschluss an die alte Schwarze Kunst. Geschenkt.
Ich beginne vorne zu blättern. Schöne Schrift. Die FF Nexus von Martin Majoor. Schöner Rhythmus, offene Formen, nicht zu eng, genügend Luft dazwischen – für den Geist, der ja auch wehen muss bei all den Buchstaben.

Was gleich auffällt: Das sekundäre Ordnungssystem hält sich maximal zurück! Endlich! Eine Bibel tatsächlich zum Lesen! Genaue Versangaben finden sich nur unten auf der Seite – so weit unten, dass klar ist: darum geht es nicht. Als wirklich dienende Marginalien nur die Kapitelziffern am Rand, ich bin begeistert! Mission erfüllt: Nicht stören! (Bild 06)

 

 

Im Weiterblättern zeigt sich: Verschiedenes ist eingesetzt worden: Initialien, überformte, gedichtete Texte in besonderer Zeilenanordnung, beeindruckend stimmiger Einsatz von Kapitälchen, zurückhaltend hie und da Marginalien, so gut wie keine Zwischenüberschriften (die es im eigentlichen Bibeltext ja nicht gibt). (Bild 09, 10, 13, 22)

 

 

Weiter: Ein paar spannende Weisen, die Seite aufzuteilen, Dialoge zu setzen (Hiob). (Bild 16)

 

 

 

Die Psalmen: Hierfür gleich mal ein besonderer Dank! Das sind Liedertexte, außer der Psalmnummer haben (und brauchen) sie keine Versziffern. (Bild 21)

 

 

Die Spruchsammlung: Erfrischend, sie einmal tatsächlich wie eine Sammlung aufgemacht zu sehen! (Bild 20)

 


Ich bin schon durch die Hälfte durch und habe bisher weniger Ziffern gesehen als sonst auf den ersten zwei Seiten. Ja, so kann sich Hören einstellen darauf, was der Text zu sagen hat – und was ich dazu sage.

Eine erste Irritation trifft mich auf Seite 449 (von 688): Das Buch Jona. Ich habe plötzlich ein anderes Buch vor mir. Jona ist gesetzt wie ein Kinderbuch: In großer Schrift mit riesigem Durchschuss. Ich fange geradezu das Buchstabieren an. Mir fällt eines meiner ersten Kinderlesebücher ein. (Bild 23)

 

 

Danach geht es wieder normal weiter. Geradezu ein Aha-Erlebnis ist für mich der Satz der Bergpredigt: Typografisch mit hängendem Einzug wird die Zusammenstellung verschiedener kurzer Redeeinheiten so überzeugend markiert, dass die sonst üblichen (sekundären!) Überschriften gar nicht fehlen. Im Gegenteil: Ich will solche nie wieder sehen, sie zerlegen den Text. Hier bleibt er bestehen. (Bild 27, 28)

 

 

Bei den Briefen dann wieder ein optischer Anstoss: Sie sind monospaced gesetzt. Wie einer der alten Schreibmaschinenbriefe, als „Gemeindebrief“ noch tatsächlich ein Brief war. (Bild 31)

 


Die Offenbarung: Sie zeichnet sich inhaltlich ja schon durch kräftige Kontraste aus. Die Typografie tut das mit normalem und fettem Satz (nicht halbfett!) ebenso. (Bild 32)

 


Ich habe nach diesem Durchgang eine ganze Menge interessanter Lösungen und auch ein paar weniger überzeugende Stellen überflogen. Es lohnt sich, das genauer in den Blick zu nehmen.
Eine interessante Lösung haben die Macher der Bielefelder Bibel gleich zu Beginn der Bibel gewählt: Der erste Schöpfungstext schildert in stark überformter Sprache eine Abfolge der Schöpfung der ganzen Welt, eingeschrieben in die sieben Tage der Woche. (Bild 01)

 

 

»Es werde Licht! – und es ward Licht« ist ein starkes und ein bekanntes Stück Sprache. In der Bielefelder Bibel wird für jeden dieser Tage und sein Werk eine eigene Seite verwendet und der Schöpferbefehl in großer Versalienschrift ins Zentrum gestellt. Gesetzt in Zentralachse blättert man erhaben durch die Tage – um aber am siebten Tag … auf nichts zu stoßen. Ja, nichts, denn an diesem Tag ist nichts hervorgehoben. Das, was Gott tut – nämlich ruhen – war in den Augen der Bielefelder offenbar nicht gleichauf mit den sechs Schöpfungswerken zuvor. Die Seite wirkt so wie eine Fußnote, ein Impressum vielleicht, jedenfalls nichts bedeutendes. (Bild 02)

 

 

Aber wer sich ein bisschen auskennt, weiß: Der siebte Tag wird zum Ruhetag, der sogar in die zehn Gebote aufgenommen wird. Die Ruhe gehört zu Gottes Schöpfungswirken hinzu und er befiehlt sie den Menschen ausdrücklich an. Sie ist die Luft, die der Mensch zum Leben braucht. Folgt man aber den typografischen Signalen, geht es in der Schöpfung allein um das Tun, das, wo etwas dabei herauskommt. Und das ausgerechnet in einer Zeit wie der heutigen, die dringend den fest eingeplanten Freiraum bräuchte, der die Entschleunigung durch einen Ruhetag gut täte?
Hier zeigt sich ein erster Fallstrick typografischer Inszenierung: Die Typografie ist beeindruckend, aber sie geht am Duktus des Textes vorbei, verführt geradezu dazu, das Entscheidende nicht mitzubekommen. Und Beispiele für ein solches Vorbeigehen finden sich noch einige:
Eine kleine Irritation ergibt sich im weiteren Verlauf bei den sogenannten Geschlechtsregistern, Aufzählungen von Abstammungen. Sie sind mit doppeltem Zeilenabstand in den Text gesetzt und so abgehoben. Das Problem dabei: Die das Lesen verlangsamende vertikale Sperrung suggeriert, dass es sich hier um gegenüber dem Kontext wichtigere Texte handelt. Das aber ist nicht der Fall und kostet die Erzählüberlieferung drumherum und dazwischen viel Aufmerksamkeit. (Bild 08)

 


Springen wir ein gutes Stück weiter zu den Zehn Geboten: Diese werden hier auf einer Doppelseite in Zentralachse gezeigt. Was aber besondere Wirkung auslöst, ist der Meta-Satz: Die Gebote sind hier mit großen römischen Ziffern nummeriert. (Bild 12)

 

 

Im Originaltext gibt es diese Ziffern nicht. Sie geben den Zehn Geboten, die hier eigentlich in eine Rede eingebettet sind, eine sehr juristische statische Tonalität. Ist es das? Oder gibt das den Geboten den Sinn, den viele dann für sich ablehnen: Verurteilung?
Eine weitere Differenz zwischen Inhalt und Gestaltung findet sich in Ester: Hier werden über fünf Zeilen reichende Swash-Initialen verwendet. Und so kommt es, dass unter der Überschrift »Die Bedrohung« ein ausgesprochen sinnenfreudiges und beschwingtes N zu stehen kommt. Ist das Fancy-Literatur? Kommt jetzt gleich eine gutaussehende, bewaffnete Heldin ins Bild? möchte man fragen. Die Typografie verbreitet Stimmung. (Bild 15)

 


Das Buch Ijob/Hiob mit seinen langen Überlegungen ist interessant in korrespondierenden gegeneinander versetzten Spalten gesetzt. So ist das durchaus gut. Aber als Gott anfängt zu sprechen, wird sein Text in mehr als doppelter Schriftgröße gesetzt. Theaterdonner quasi. (Bildfolge 16, 17, 18)

 

 

Aber das Aufregende am Hiobbuch ist doch, dass hier erst ein Mensch durchaus aufmüpfig und mit noch heute anstößigen Worten Gott anklagt (der das nach der Vorgeschichte auch verdient hat). Andere das dann relativieren wollen und ihn Gott gegenüber klein machen wollen. Am Ende aber Gott ihn ins Recht setzt, ihm Rede und Antwort steht. Hier aber wird Hiob gegenüber Gott typografisch sehr klein gemacht. Die Spannung ist eigentlich auf Buchstabenebene ausgelöscht. So gesetzt muss man nicht mehr groß nachdenken, es funktioniert auch nicht.
Geradezu verstörend finde ich, was mit dem kleinen Prophetenbuch Jona geschieht: Es ist mit großen Buchstaben und noch größeren Zeilenabständen wie ein Kinderbuch der Grundschule gesetzt. Quasi ein Märchen. Mag ja sein, dass der Walfisch einem nicht realitätsnah erscheint. Aber das sind die Erfolgsgeschichten gestandener Wirtschaftsmanager auch manchmal nicht. Jona wird hier als Kindergeschichte gekennzeichnet. Und leider wird sie in unseren Kirchen meist so verwendet. Aber wer sie genau anschaut, wird bemerken, dass sie sich eigentlich um einen Mann, seine Vorstellungen, Schwächen, Übertreibungen (unter einem Wal gehts nicht) und seine Aggressivität dreht. Schließt man mit Kindertypografie nicht genau diese Rezeptionsmöglichkeit ohne Not von vornherein aus?. (Bild 23, 24, 25)

 

 

So ergibt sich der Eindruck, dass die Typografie hier viel mehr in den Bibeltext einträgt, als sie soll und als ihr zusteht.
Um ein Fazit zu ziehen, möchte ich einen Bibelvers heranziehen, der Typografen wie ein Stachel im Fleisch sein dürfte:
»Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig«, sagt Paulus.
In der Bielefelder Bibel sind es die Buchstaben und ihre Verwendung, die an nicht wenigen Stellen dem Text eine eigene Deutung aufdrücken – und so die Freiheit des Geistes einschränken. Eine zurückhaltende typografische Unterstützung zum Beispiel dichterischer Sprache ist freilich angemessen, hier ist aber oft zu viel des Guten getan worden.
Die Typografie sollte sich generell nicht vor ihren Text stellen, sondern ihm dienen und sich selbst nach Möglichkeit unsichtbar machen. So wie das schon mit den Ziffern der Verse und Kapitel geschehen ist.  Insofern ist die Bielefelder Bibel nach wie vor ein schönes Buch, auch ein beeindruckendes Werk typografischer Möglichkeiten, aber nur bedingt tauglich als Muster für lesefreundliche Bibeln.
Die Suche nach einer qualitativ ausgezeichneten heutigen Bibeltypografie ist noch nicht abgeschlossen. Danke aber dennoch für (mindestens) vier Sachen: Den Satz der Psalmen, die Sprichwörter und die Bergpredigt. Und vor allem: Für die Zurücknahme der Ziffern und nicht-originalen Texte.